Futsch – Roddy Doyle

We are brownbread – wier si futsch

Ja, Futsch ist das Runningword des Stückes von Roddy Doyle. Wir sind futsch, kaputt.

Aber wer sind wir?
Sind das die drei Jugendlichen Ao, Donkey und Jo, die aus welchen Gründen auch immer einen Bischof entführen und sich mit ihm im Elternhaus von Donkey verbarrikadieren? Natürlich, wir kennen den Sermon von der kaputten Jugend, die sich nicht an «unsere» Spielregeln halten will, die wir doch zu ihrem Besten aufgestellt haben möchten. Natürlich, wir wissen von den Schwierigkeiten, denen die heutige Jugend ausgesetzt ist, sei’s in der Schule, sei’s in der Arbeit, sei’s in der Arbeitslosigkeit. We are brownbread – wier si futsch.

Aber wer sind wir?
Sind das die Erwachsenen, welche die drei Jugendlichen belagern und belabern? Das «Wir-wollen-euch-doch-nur-helfen» und das «Wir-sitzen-alle-im-gleichen-Boot» werden als leere Worthülsen demaskiert. Ja, Roddy Doyle zeigt uns eine kranke Erwachsenenwelt, sei’s im Schaumschläger Farrell, dem Vater von Ao, sei’s in der überspannten, nur am sozialen und materiellen Aufstieg interessierten Miss Murray, der Mutter von Jo, sei’s in der hilflosen Polizei, die als Dick-und-Doof-Parodie paradiert. We are brownbread – wier si futsch.

Der Dubliner Bischof Treacy entpuppt sich als Doppelbürger, d.h. er hat neben dem irischen noch einen amerikanischen Pass, was prompt die US-Marines auf den Plan ruft. Was Roddy Doyle in seinem Stück aus dem Jahr 1987 als Fiction entwirft, ist definitiv Faction geworden: Bedrohte amerikanische Bürger geniessen den besonderen Schutz ihrer Militärs mit ihren grössten Feldherrn im Weissen Haus – in den 80-ern Reagan, heute Bush Junior. Und wenn wir heute Doyles Stück lesen oder sehen, stellen sich die Assoziationen ganz von selbst ein: Afghanistan, Irak als Beispiele einer scheiternden imperialistischen Politik unter den euphemistischen Begriffen Freiheit und Demokratie. Und eine weitere Assoziation: George Orwells New Speak in seiner Negativ-Utopie 1984, wo aus Krieg Frieden wird, aus Lüge Wahrheit, aus Hass Liebe. Und: Permanent wird Krieg geführt, denn mit Krieg kann man Angst erzeugen und die Leute an die Kandare nehmen. Christlicher und islamischer Fundamentalismus. We are brownbread – wier si futsch.

Das Stück endet mit einem Eklat. Der Bischof stellt sich auf die Seite seiner Entführer. Leidet er unter dem Stockholm Syndrom? Ist es reines Kalkül, dass er in der US-Invasion die grössere Gefahr für sein Leben sieht, sehen will? Oder doch die Vision eines moralischen Menschen, der erkennt: we are brownbread, wier si futsch?

Eine Tragödie? Eine Komödie?
Wer Roddy Doyles Werke über das fiktive Dubliner Arbeiterviertel Barrytown (The Commitments, The Snapper, The Van) kennt, weiss, dass er es meisterhaft versteht, die Sorgen und Nöte der kleinen Leute zu artikulieren. Sein Werk ist dabei immer politisch. Dabei gelingt es ihm, das Ganze witzig und humorvoll zu gestalten, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu drohen und ohne die Protagonisten zu denunzieren. Man kann lachen, man kann sich amüsieren und verliert doch nie den Blick auf die triste Realität.

Roddy Doyle ein Dramatiker, der seinen Brecht kennt. Songs unterbrechen die Szenen, kommentieren das Geschehen. Es sind Songs aus der Geschichte des Rock ‘n‘ Rolls, welche die Wut und die Trauer der Jugendlichen ausdrücken. Dieser Verfremdungseffekt hievt die Handlung auf eine Metaebene, die es dem Zuschauer erlaubt zu denken und zu erkennen, was er ändern müsste, was es bräuchte, damit es eben nicht stimmt, dieses we are brownbread, wier si futsch. Eine Tragikomödie.

Hermann Anthamatten