Requiem der Hoffnung

Zwei Menschen, eine Frau und ein Mann: Zuerst verloren sie ihr Kind, dann sich, dann einander. Nach dem tödlichen Verkehrsunfalls ihres ­Sohnes folgt die Scheidung. Seit Jahren haben sie sich nicht mehr ge­sehen. Jetzt treffen sie sich in einer Friedhofshalle wieder: Der Boden des Friedhofs soll vergiftet sein, die Toten umgebettet werden – so auch ihr Sohn.

Es ist der erste Kontakt zwischen ihnen seit vielen Jahren. Und die Fragen von damals stehen immer noch im Raum. Tastend versuchen sie bei diesem Treffen ihre Geschichte, ihre Trauer, ihre Wut, ihre Hilflosigkeit zu verbalisieren, zu verstehen und zu verarbeiten.

Dabei spielt im Kammerspiel von Lot Vekemans die Musik eine wichtige Rolle: Der Mann kann seine Trauer über den Tod vom kleinen Jakob verarbeiten, indem er ­einem Männerchor beitritt. Sein Schlüsselerlebnis ist dabei Leonard Bernsteins Lied « It must be so ». Dieses Lied hilft ihm, das Geschehene zu akzeptieren und wieder Ja zum Leben zu sagen. Ganz im Gegensatz zur Frau, die nach wie vor in ihrer Trauer gefangen ist, die auch nach Jahren noch keinen Schritt machen kann, ohne dass Jakob sie begleitet. Es scheint fast, dass sie sich in ihrem Leiden suhlt. In unserer Inszenierung versinnbildlichen wir dies durch Ausschnitte aus Mozarts ­Requiem, welches sich als Tohuwabohu im Kopf der Frau eingenistet hat, welches ihre Einsamkeit füllt, ohne dass es ihr bewusst wird.

Das Stück von der Niederländerin Lot Vekemans berührt. Es ist ein stilles Stück, welches in unserer lauten Zeit das Scheitern einer Beziehung nach einem traumatischen Ereignis stimmig thematisiert. Dabei ist es nicht einfach « dramatisch ernst », nein, nachdem die Panzerung einmal durchbrochen ist, entsteht durchaus auch Komik in den Dialogen der beiden. Es verwundert nicht, dass « Gift » seit seiner Uraufführung 2009 seinen Siegeszug durch die Theater weltweit angetreten hat. 2010 erhielt Lot Vekemans für ihr Stück den Taalunie Toneelschrijfprijs, den Preis für das beste aufgeführte Stück der vorangehenden Spielzeit in den Niederlanden. In der Jurybegründung heisst es unter anderem: « Mit ihrem wunderbaren Dialog über zwei Menschen (. . .) trifft Vekemans ­direkt ins Herz.»

Ein Requiem mit einer grossen Prise Hoffnung.

Herrmann Anthamatten