Geschichte und Gegenwart

«HEXEN» – ein historischer Stoff aus dem Oberwallis um 1600. Was hat dieses Thema für dich heute noch für eine Bedeutung?

Das Thema «Hexen» ist für mich mehr als nur Geschichte. Einerseits werden in China, in Afrika, in Indien beispielsweise auch heute noch Menschen als Hexen verfolgt, anderseits ist das Phänomen «Hexen» etwas, das uns auch in der aktuellen Zeit überall begegnet: Ausgrenzung, Verfolgung, Mobbing – die Mechanismen gibt es heute wie damals. Bei uns geschieht das Ganze subtiler, feiner, wird besser verpackt, versteckt, ist aber immer noch wirksam.
Zum Beispiel wurden früher ja sehr häufig alleinstehende Frauen verfolgt, die sich und ihre Kinder durchbringen mussten. Diese Art des «Matriarchats» wurde nicht toleriert. Es passte nicht in die Vorstellung einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Heute zeigt sich das natürlich anders, z.B. an der fehlenden Lohngleichheit von Männern und Frauen. Dazu kommt die Sexualisierung der Frau: Gerade ungeschützte Frauen hatten «zur Verfügung» zu stehen. Wollten sie nicht, konnte man sie denunzieren, oder man konnte eine Geleibte, wenn sie einem lästig wurde, leicht als Hexe «entsorgen». Heute haben wir ähnliche Mechanismen: Unterdrückung, Menschenhandel, sexueller Missbrauch, selbst in humanitären Organisationen. Das ist gegen jede Menschenwürde. Macht gegen Ohnmacht. Immer das gleiche Muster. Früher wie heute.

Trotzdem: Hans Steffen hat ein historisches Stück geschrieben. Was bedeutet das für dich als Regisseurin?

Für mich ist es ein spannender Rückblick in eine andere Zeit, aber eine rein historisierende Darstellung würde mich nicht reizen. Für mich ist es wichtig, dass diese Geschichte uns heute etwas zu sagen hat, dass sie in den Kontext unserer Zeit gestellt wird. Es reicht nicht, wenn wir mit den Protagonisten mitfühlen, ihre Geschichte muss eine Wirkung auf unsere Sicht der Welt haben.

Welches ist dein Ansatz für diesen Gegenwartsbezug?

Lieder und aktuelle Texte sind Mittel, um diesen Bezug zum Heute herzustellen. Sie sollen den Zuschauern helfen, die Mechanismen zu durchschauen. Das historische Geschehen spielt sich auf der Bühne in einem Viereck, einer Raute, ab. Für die Kommentare treten die Schauspielerinnen aus diesem Raum heraus. So gelingt die Brücke zum Jetzt.

Wir haben den Autor Hans Steffen und wir haben das Freie Theater Oberwallis. Wie gestaltete sich diese Zusammenarbeit?

Sehr intensiv, interessant und selbstverständlich nicht ganz konfliktfrei. Inhaltlich gingen wir in die gleiche Richtung, aber einzelne Aspekte bewerteten wir unterschiedlich, z. B. die Schuldfrage. Ich spreche lieber von Verantwortung als von Schuld, denn Schuld ist passiv, so als ob ich etwas nicht selber getan hätte, sondern eben das Böse, was immer das sein soll. Und dann kann ich beichten und hoppla hü. Verantwortung dauert länger und ist persönlicher. Die Thematik «Hexen» zu bearbeiten, ohne Verantwortlichkeiten aufzuzeigen, macht für mich keinen Sinn. Klar ist: Wenn der Text fertig ist, beginnt die Umsetzung, die Inszenierung. Als Regisseurin habe ich nicht die gleichen Bilder wie der Autor und umsetzen kann ich nur die meinen.

Du hast viele Jahre Schauspielerfahrung, kommst aber eigentlich vom Film, hast seit Jahren Kindertheater inszeniert und warst auch als Choreografin tätig. Nun die erste Regiearbeit mit dem Freien Theater Oberwallis. Wie hast du das erlebt?

Es ist quasi das Zusammenführen der einzelnen Arbeiten, die ich in den letzten Jahren gemacht habe. Es fasziniert mich, zu sehen, wie aus den einzelnen Teilen – Spiel, Bühne, Kostüme, Maske, Musik – ein Ganzes entsteht. Und ich bin diejenige, welche die einzelnen Fäden zusammenführt. Theater ist ein Miteinander, alle lernen von einander. Jeder muss sich auf der andern verlassen können. Theaterspielen heisst immer wieder an Grenzen stossen, immer wieder nicht weiter wissen und notfalls auch gemeinsam scheitern. Wir proben sehr konzentriert, haben aber auch sehr viel Spass. Und wir teilen uns dieses intensive Gefühl, wenn eine Stimmung, ein Bewegungsablauf, ein Satz dann endlich stimmt – das möchte ich nicht missen.