« Viele Zuschauer sagen, dass sie in den Figuren typisch männliches und weibliches Verhalten wiedererkennen, aber das sehe ich überhaupt nicht. Der Mann sagt viele Dinge, die eher Frauen so sagen würden. Man sollte es sich nicht so einfach machen und gleich annehmen, dass typischerweise der Mann davonläuft. Manche Frauen reagierten auf diesen Umstand unglaublich wütend und behaupteten, dass es immer der Mann sei, der wegrenne. Aber das ist ihr Problem und hat nichts mit der Aussage des Stückes zu tun. Es gibt übrigens auch das umgekehrte Phänomen: Zuschauerinnen, die sich an mich oder die Schauspielerin wenden, um zu erzählen, dass sie immer geglaubt haben, der Mann in der Geschichte zu sein, und erst durch das Stück gemerkt haben, dass sie eigentlich wie die Frau sind und es immer noch nicht überwunden haben.
(…)
Im Stück geht es nicht um richtig oder falsch, sondern darum, wie man mit Dingen umgehen kann, und ich glaube, das ist das Schwerste im Leben. Wir alle müssen unser Leben täglich so nehmen, wie es kommt, und manchmal scheint alles in Ordnung, und irgendwann später fühlt es sich schrecklich an. Die Protagonisten in ‚Gift‘ tun nichts anderes: Sie meistern das tägliche Leben. »
Quellen:
Lot Vekemans im Gespräch mit Christian Schwochow und Johan von Düffel, aus Programmheft Nr. 81; Spielzeit 2013/14, Deutsches Theater Berlin
Zwei Menschen, eine Frau und ein Mann: Zuerst verloren sie ihr Kind, dann sich, dann einander. Nach dem tödlichen Verkehrsunfalls ihres Sohnes folgt die Scheidung. Seit Jahren haben sie sich nicht mehr gesehen. Jetzt treffen sie sich in einer Friedhofshalle wieder: Der Boden des Friedhofs soll vergiftet sein, die Toten umgebettet werden – so auch ihr Sohn.
Es ist der erste Kontakt zwischen ihnen seit vielen Jahren. Und die Fragen von damals stehen immer noch im Raum. Tastend versuchen sie bei diesem Treffen ihre Geschichte, ihre Trauer, ihre Wut, ihre Hilflosigkeit zu verbalisieren, zu verstehen und zu verarbeiten.
Dabei spielt im Kammerspiel von Lot Vekemans die Musik eine wichtige Rolle: Der Mann kann seine Trauer über den Tod vom kleinen Jakob verarbeiten, indem er einem Männerchor beitritt. Sein Schlüsselerlebnis ist dabei Leonard Bernsteins Lied « It must be so ». Dieses Lied hilft ihm, das Geschehene zu akzeptieren und wieder Ja zum Leben zu sagen. Ganz im Gegensatz zur Frau, die nach wie vor in ihrer Trauer gefangen ist, die auch nach Jahren noch keinen Schritt machen kann, ohne dass Jakob sie begleitet. Es scheint fast, dass sie sich in ihrem Leiden suhlt. In unserer Inszenierung versinnbildlichen wir dies durch Ausschnitte aus Mozarts Requiem, welches sich als Tohuwabohu im Kopf der Frau eingenistet hat, welches ihre Einsamkeit füllt, ohne dass es ihr bewusst wird.
Das Stück von der Niederländerin Lot Vekemans berührt. Es ist ein stilles Stück, welches in unserer lauten Zeit das Scheitern einer Beziehung nach einem traumatischen Ereignis stimmig thematisiert. Dabei ist es nicht einfach « dramatisch ernst », nein, nachdem die Panzerung einmal durchbrochen ist, entsteht durchaus auch Komik in den Dialogen der beiden. Es verwundert nicht, dass « Gift » seit seiner Uraufführung 2009 seinen Siegeszug durch die Theater weltweit angetreten hat. 2010 erhielt Lot Vekemans für ihr Stück den Taalunie Toneelschrijfprijs, den Preis für das beste aufgeführte Stück der vorangehenden Spielzeit in den Niederlanden. In der Jurybegründung heisst es unter anderem: « Mit ihrem wunderbaren Dialog über zwei Menschen (. . .) trifft Vekemans direkt ins Herz.»
Ein Requiem mit einer grossen Prise Hoffnung.
Herrmann Anthamatten
Lot Vekemans, geboren 1965 in Oss, Holland. Sie studierte Soziale Geografie mit Schwerpunkten Dritte Welt und Bildung an der Universität in Utrecht. Anschliessend Ausbildung zur Theaterautorin an der «t Colofon» in Amsterdam. Seit 1995 schreibt sie Kinder- und Erwachsenenstücke und Artikel für Theaterzeitschriften. Daneben verfasst sie Film- und Seriendrehbücher.
Werke:
« Truckstop », 2002; « Schwester von », 2005; « Judas », 2007; « Gift. Eine Ehegeschichte », 2009; « Falsch », 2013; « Ein Brautkleid aus Warschau », Roman, 2016
Sie und Er – Carmen Werner und Milo Walker
Sänger/-innen – Bettina Aschilier, Barbara Eyer, Monique Russi, Deborah Seiler, David Gysel,
Philipp Jeitziner, Jean-Claude Knubel, Manuel Pollinger
Musiker – Alex Rüedi, Thomas Montani, Daniel Schmidt, Joel Schmidt, Damian Walliser
Regie – Hermann Anthamatten
Musikarrangements – Alex Rüedi
Produktionsleitung – Eliane Frey, Arthur Huber
Regieassistentin – Eliane Frey
Bühnenbau – Arthur Huber, Beat Nellen, Beat Walker
Kostüme – Rudolf Jost
Maske – Johannita Mutter, Elsbeth Ruppen
Beleuchtung – Bruno Lindau, Frank Lynch, Stefan Frey
Plakat – Daniel Salzman, visucom
Fotos – Thomas Andenmatten
Werbung – visucom.com
Schaufenster – Apotheke Marty, Rafaela Bayard/Thomas Andenmatten
Theaterbar – Beat Nellen, Heinz Salzmann
Vorverkauf – Heinz Salzmann, ZAP
Requiem I (Mozart)
Requiem II (Mozart)
Requiem III (Mozart)
It Must Be So (Bernstein)
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