Leopold, ein Rentner, lebt einsam in seiner Kellerwohnung. Um den Jahreswechsel nicht allein zu verbringen, engagiert er zunächst die Schlagersängerin Monja – die billigste, die er finden kann. Doch als er in einem Flyer liest, dass die Caritas für Heimbewohner mit Behinderung Familienanschluss sucht, entscheidet er sich für diese Gratis-Lösung und storniert die Sängerin.
Die Aufführung beginnt mit der Ankunft Herberts, den die Sozialarbeiterin Silvia zu Leopold bringt. Die Begegnung der zwei Männer ist zunächst von Zurückhaltung geprägt: Leopold verharrt in der Nostalgie seiner Vergangenheit, Herbert spricht fast ausschliesslich in Zitaten. Langsam wächst zwischen ihnen eine vorsichtige Vertrautheit. Dann jedoch erscheint überraschend auch Monja – die Stornierung ist fehlgeschlagen. Ihre Präsenz verändert das Gefüge grundlegend, eine neue Dynamik entsteht.
Im Laufe des Abends lassen alle drei ihre Masken fallen. Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen treten hervor; sie sind gezwungen, sich den eigenen Lebenslügen und der Realität der Einsamkeit zu stellen. Doch gerade darin öffnet sich die Möglichkeit von Nähe – ein zarter Hoffnungsschimmer zum Jahreswechsel.
Aus dieser ungewöhnlichen Konstellation entsteht eine Mischung aus Tragik und Komik, ein fragiles Geflecht aus Nähe und Distanz. Silvester erzählt von der Sehnsucht nach Gemeinschaft in einer Welt, die zwar über unzählige Kommunikationsmittel verfügt, zugleich aber immer mehr Menschen in Isolation zurücklässt.
Das FTO nimmt Peter Turrinis Stück als Grundlage für eine eigene, neuartige Kreation. Gespielt wird im Walliser Dialekt, der Text ist behutsam aktualisiert und an unsere Region angepasst.
Auch formal geht die Inszenierung neue Wege: Aus ursprünglich vier Figuren werden sieben. Ergänzt wird die Handlung durch eine Sängerin, einen Sänger und einen Musiker, die singen, spielen und sprechen. Immer wieder unterbrechen Lieder das Geschehen, kommentieren und treiben es voran. Auch TV-Ausschnitte werden „live“ in die Kellerwohnung projiziert – etwa wenn Leo seinem Gast Herbert die vermeintlich bunte Fernsehwelt mit ihren unzähligen Programmen vorführt. So tritt die Einsamkeit der Figuren noch deutlicher hervor.
Das zentrale Motiv, die Flucht des Menschen in Fernsehbilder, wird durch die besondere Bühnenform verstärkt: Gespielt wird auf zwei Bühnen, die durch den Zuschauerraum getrennt sind. Sängerin, Sänger und Musiker bilden den „Silvesterstadl“ auf der einen Seite, während auf der anderen die Figuren der Kellerwohnung agieren. Es entsteht eine Spiegelung: Der „Silvesterstadl“ beobachtet die „Kellerwohnung“ – und umgekehrt.
Während Turrinis Stück in Österreich eine Operettensängerin vorsieht, begegnet uns hier im Oberwallis eine Schlagersängerin. Gemeinsam mit der Band führt sie durch das Repertoire des deutschsprachigen Schlagers der 60er- und 70er-Jahre, dessen übersteigerte Gefühlswelt die Innenwelten der Figuren kommentiert. Doch die Lieder werden nicht einfach gecovert: Musiker Norbert Carlen schafft mit seinen Vaudeville-inspirierten Arrangements eigenständige, kreative Versionen, die unterhalten und zugleich zum Nachdenken anregen.
Im Zentrum der Inszenierung steht die Einsamkeit des Menschen – und die Unmöglichkeit echter Kommunikation, solange wir uns hinter Masken verbergen. Erst Offenheit lässt Nähe entstehen, die Hoffnung weckt und dem Stück ein überraschend versöhnliches Ende schenkt.
Gerade an Tagen wie Silvester wird Einsamkeit besonders spürbar, weil jeder eine Vorstellung vom „idealen Silvester“ hat: essen, trinken, scherzen, lachen – gemeinsam feiern. Diese Idee der Gemeinschaft nimmt das FTO auf: Das Publikum sitzt an Tischen, zur Premiere wird ein dreigängiges Silvestermenü serviert, und am Ende stossen alle gemeinsam auf das neue Jahr an – mit oder ohne Vorsätze. Auch bei den Aufführungen im Januar bleibt diese Idee lebendig: Die Tische stehen weiterhin, und zum Schluss erhebt das Publikum das Glas auf „es glikklichs Niws Jaar“, ehe es eingeladen ist, noch etwas Zeit miteinander zu verbringen.
Peter Turrini wurde am 26. September 1944 in Sankt Margarethen (Kärnten), Österreich geboren.
Nach der Handelsschule arbeitete er in verschiedenen Berufen, darunter als Metallarbeiter, Werbetexter und Grafiker. Erst in den späten 1960er Jahren begann er, sich intensiver der Schriftstellerei zu widmen.
Seinen Durchbruch hatte Turrini 1971 mit dem Theaterstück „Rozznjogd“, das am Wiener Volkstheater uraufgeführt wurde. Es war ein skandalträchtiges Stück, das die Gewaltbereitschaft der Gesellschaft thematisierte.
Heute gilt Turrini als einer der bedeutendsten zeitgenössischen österreichischen Dramatiker. In seinen Werken setzt er sich mit sozialen Missständen, politischer Heuchelei und menschlichen Abgründen auseinander, weswegen seine Stücke auch immer wieder gesellschaftliche Debatten auslösen.
Ein wiederkehrendes Motiv in seinem Werk ist die Einsamkeit des Menschen in einer kalten, leistungsorientierten Gesellschaft. In seinen späteren Werken wird sein Ton oft poetischer und melancholischer, bleibt aber immer kritisch. Und vor allem zeichnet in eine grosse Liebe zu seinen oftmals scheiternden Figuren aus. Turrini ist ein wahrer Menschenfreund.
Wichtige Theaterstücke (Auswahl)
Neben Theaterstücken schrieb er auch Drehbücher, etwa für die Fernsehserie „Alpensaga“ (1976–1980), die als bedeutendes Werk zur österreichischen Zeitgeschichte gilt.
Spiel:
Leopold, 66 Jahre, Pensionist – Milo Walker
Herbert, 30 Jahre, Heimbewohner – Gillian Schmidhalter
Monja, alias Susanne, 60 Jahre, Schlagersängerin – Carmen Werner
Silvia, 50 Jahre, Betreuerin – Regula Zenhäusern-Ritz
Gesang: Monique Russi, Jean-Claude Knubel
Musiker: Samuel Werner
Musikarrangements und Einstudieren Chor: Norbert Carlen
KellnerInnen: Stefan Bumann, Norbert Russi, Philippe Imwinkelried, Regula Zenhäusern-Ritz, Chiara Stadtfeld, Nathan Anthamatten, Mathia Anthamatten
Regie: Hermann Anthamatten
Regieassistenz: Eliane Frey
Licht: Bruno Lindau, Beat Walker
Kostüme: Rudolf Jost
Maske: Nora-Li Hess, Elsbeth Ruppen, Sandra Bumann, Sibylle Werner, Tanja Supersaxo
Bühne: Norbert Russi, Arthur Huber
Produktionsleitung: Carmen Werner
Plakat: Daniel Salzmann
Werbung: Frank Lynch
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